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Auf einem Rasenplatz ist eine Gruppe Fußbälle aufgereiht.

3. Juni 2023

Agilität

Leading & Lagging Indicator

Wie kann ein Fußballspiel dabei helfen, das Konzept von Innovation Accounting für Geschäftshypothesen im SAFe Framework verständlich zu machen? Ein Blogbeitrag zu Leading & Lagging Indicator

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Inhalt

Kürzlich hatten wir in der Nerd Republic einen SAFe Lean Portfolio Management Kurs. Ein Themenblock des Kurses ist die Realisierung von Geschäftshypothesen auf Grundlage von Epics. Dahinter steckt das Konzept Build-Measure-Learn aus Eric Ries Werk The Lean Startup. Ries beschreibt, wie Entwicklungen mit sogenannten Leading Indicators „nach vorne“ gemessen werden können. In den Kursen stellen wir stets fest, dass obwohl die Theorie leicht verständlich ist, praktische Beispiele zunächst zu abstrakt erscheinen. Zum Glück war während des letzten Kurses englische Woche und Fußballspiele liefern ein optimales Anschauungsbeispiel.

Geschäftshypothesen

Zunächst ein kurzer Abriss zu Geschäftshypothesen. Ein wesentlicher Meilenstein für Unternehmen, auf ihrem Weg zur SAFe Geschäftsagilität, ist der Wandel von klassischen Projekten hin zu Epics als Geschäftshypothesen. Klassische Projektplanungen zeichnen sich durch einen vorher vereinbarten Scope aus. Davon werden dann die benötigten Ressourcen und die benötigte Zeit abgeleitet. Ein Wechsel des Scopes ist nach Projektstart zwar möglich, kostet aber zusätzliche Ressourcen und Zeit. Ob ein Projekt erfolgreich ist, wird im klassischen Projektmanagement über Lagging Indicators festgestellt. Diese laufen dem Event hinterher (lagging) und sind harte Resultate. Hier wird üblicherweise mit Return on Investment, Umsatz, Gewinn oder Verkaufszahlen hinterhergemessen.

In der agilen Welt akzeptieren wir, dass ein sicherer Blick in die Zukunft unmöglich ist. Wir denken nicht über Projekte nach, sondern über Produkte und arbeiten mit Hypothesen, welche kontinuierlich validiert oder falsifiziert werden müssen. Bereits zu Beginn unserer Arbeit verabschieden wir uns von einem festen Scope. In kleinen Iterationen liefern wir Produktinkremente und entscheiden, mit Blick auf den Faktor Zeit, wie das Produkt weiterentwickelt wird. Die Entscheidungsfindung wird durch Leading Indicators geleitet, welche als weiche Resultate nach vorne (leading) messen.

Leading und Lagging Indikator am Beispiel eines Webshops.

Leading Indicator

Organisationen sind es gewohnt, mit Lagging Indicators zu arbeiten, wenn sie neue Produkte über Projekte umsetzen. Produkte werden langwierig entwickelt und erst nach Markteinführung anhand ihrer harten Fakten auf ihren Wert hin überprüft. Leading Indicators hingegen konzentrieren sich auf das, was passieren muss, damit wir mit wertvollen Produkten zufriedenstellende Lagging Indicators generieren.

Nehmen wir das Beispiel eines Online-Stores, der sich auf den Verkauf von Schlüsseln spezialisiert hat. Wenn der Umsatz in unserem Online-Store unser Lagging Indicator ist, können wir diesen nur zeitverzögert zu unseren Handlungen messen. Eine Reihe von Entscheidungen und Prozessen muss vorher passieren, damit der Kunde das Produkt kauft und wir überhaupt Umsatz generieren. Wir brauchen beispielsweise Traffic auf unserer Seite, eine Conversion und Leads, um den Kunden zur Kaufentscheidung zu bewegen und so Umsatz zu generieren. Diese stellen unsere Leading Indicators dar. Stellen wir die Hypothese auf, dass „Menschen farbige Schlüssel mit einer Namensgravur im Onlineshop kaufen wollen“, sollten wir nicht erst zwei Jahre investieren, um Schlüssel in 400 verschiedenen Farben zu produzieren. Stattdessen sollten wir iterativ vorgehen. Also mit einem ersten kleinen Online-Shop starten, in dem rote, grüne und blaue Schlüssel angeboten werden. Bei der schrittweisen Weiterentwicklung des Shops – und unseres Produkts – haben wir stets einen Blick auf die Leading Indicators und versuchen, so früh wie möglich und kontinuierlich, unsere Weiterentwicklungen zu validieren oder zu falsifizieren.

Diese Herangehensweise stellt eine Herausforderung dar. Dahinter steht die aktive Auseinandersetzung mit unserer Geschäftshypothese. Wir fragen nach Treibern unserer Hypothese, die wir messen können und die uns logische Folgerungen zu Ursache und Wirkung ermöglichen.

Und nun zum Fußballspiel…

So viel zur kurzen Theorie von Leading und Lagging Indicators. Nun stoßen wir auf das eigentliche Problem. Wie manifestieren sich beide Arten von Indikatoren in der realen Welt? Das wollen wir uns am Beispiel eines Fußballspiels anschauen.

Im klassischen Projektmanagement würden wir sagen: „Stelle die bessere Mannschaft auf das Feld und du wirst gewinnen.“ Zwar existieren Teams, die ein Händchen fürs Gewinnen haben, doch liegt in der Aussage kein 100% logischer Schluss. Der Lagging Indicator wäre das Endergebnis. Das Team gewinnt 2:0. In diesem Fall läuft unser Projekt „bestes Team“ wie geplant. Leider bewegt sich Fußball aber auch in einem komplexen Umfeld und die Dinge kommen meist anders als geplant (sonst würde es ja auch keinen Spaß machen).

Der:Die Trainer:in muss also während des Spiels mit Leading Indicators arbeiten, da eine logische Folge „besseres Team = Sieg“ nicht existiert. Während des Spiels schaut der/die Trainer:in auf unterschiedliche Metriken. Er:Sie nimmt das Zweikampfverhalten in den Blick, Anzahl der gespielten Pässe, Anzahl an Fouls, Schüsse auf das Tor, usw. Keiner dieser Indikatoren zieht als logische Folge einen Sieg nach sich. Mit anderen Worten, kein Team gewinnt, weil es lediglich mehr Pässe gespielt hat oder mehr Zweikämpfe gewonnen hat. Vielmehr ist es eine ständige Suche nach Kombinationen von Indikatoren (z.B. Zweikämpfe, Torschüsse und angekommene Pässe), die eine möglichst verlässliche Prognose des Spielausgangs zulassen.

Der Anpfiff kann in der Geschäftswelt als erstes Release verstanden werden. Dann heißt es erstmal laufen lassen. Natürlich sind die Leading Indicators in den ersten fünf Spielminuten nicht valide genug. Welche Schlüsse sollte man auch aus null Torschüssen ziehen können? Genauso verhält es sich auch mit Epics. Diese brauchen etwas Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Wir müssen dem Markt Reaktionszeit einräumen. Über die erste Halbzeit hinweg verdichten sich die Metriken und der/die Trainer:in hat die Möglichkeit einer Retrospektive, auch bekannt als Halbzeitpause, in der er/sie mit konkreten Adaptionen das Spiel seiner/ihrer Mannschaft anpassen kann. Ihm/Ihr steht dafür ein Set an Leading Indicators zur Verfügung. Diese objektiven Daten werden mit subjektiven Eindrücken des Trainers/der Trainerin (bzw. Business Owners) vermengt und die nächste Halbzeit (bzw. Iteration) geplant.

Gehen wir mit noch einem zusätzlichen Stürmer rein? Wechseln wir das Spielsystem? Wechseln wir einen/eine Spieler:in aus oder lassen wir den Ball nach der Pressing-Phase auch mal etwas länger laufen? Das sind alles Veränderungen, die wir in das laufende Experiment reingeben können. Dies geschieht nicht zum Selbstzweck, wir provozieren Veränderungen in unseren Leading Indicators, die uns zum Sieg führen (lead).

Wie im Fußball, kommt es auch in der Entwicklung vor, dass nicht das gewünschte Ergebnis kommt. Wir glauben an ein neues Feature und sind überzeugt, dass es den Traffic auf unserer Seite steigert. Es passiert aber nach dem Release nichts. Wir sehen nichts an den Indikatoren. Das muss nicht gleich heißen, dass das Feature schlecht ist. Vielleicht haben wir es zur falschen Zeit reingebracht oder vielleicht ist es so platziert, dass der Kunde es nicht finden kann. Nicht jede Einwechselung des Trainers:der Trainerin macht das Joker-Tor. Oft genug fragt sich der:die geneigte Zuschauer:in, was dieser Wechsel denn jetzt gebracht hat.

Nach dem Spiel stehen die Spieler:innen den Reportern Rede und Antwort. Die klassische Frage lautet immer: „Was haben Sie sich nach der Halbzeit vorgenommen?“. Je nach Spielausgang wird darauf die Antwort geformt und gerade bei Niederlagen konstatiert „Wir haben uns viel vorgenommen, konnten das aber nicht auf den Platz bringen“.

Ein Fußballspiel ist ein komplexes Umfeld, insbesondere wenn unser Gegner einfach mal nicht so spielen will, wie wir es uns in den Annahmen vorgestellt haben. Das hat viel gemein mit unserem komplexen Unternehmensumfeld. Wir müssen in unserem Umfeld hypothesengesteuert vorgehen und ständig Mikroexperimente planen und durchführen. Sich allein auf nachgelagerte Indikatoren zu verlassen, reicht nicht mehr aus. Um schnell gute Entscheidungen treffen zu können, ist es wichtig, das richtige Set an Leading Indicators zu identifizieren. Das heißt nicht, dass wir jedes Spiel gewinnen werden, es gibt uns aber eine Reaktionsfähigkeit auf sich ständig ändernde Grundannahmen.

Du willst mehr über Leading und Lagging Indicators erfahren? Besuche doch einen unserer SAFe LPM Kurse inklusive Nerd Academy. Hier zeigen wir Dir gerne, wie in einem Lean Portfolio Management über Epics hypothesengetriebene Produkte entwickelt werden. Wie deine Fußballmannschaft, in meinem Fall Borussia Mönchengladbach, weiterhin (oder jemals…) erfolgreich bleibt, werden wir leider nicht klären können.