Das PI Planning ist das Herz agiler Skalierung und oft ein arbeitsintensiver Ausnahmezustand. Was jenseits der Agenda passiert, betrifft Mitbestimmung, Arbeitsrecht und Verantwortung. Warum Unternehmen für bessere Sichtbarkeit sorgen und handeln sollten.
1. Trotz genauer PI Planning Agenda sieht die realistische Planung anders aus
Folgendes Thema wird leider noch viel zu selten angesprochen, nämlich die reale Arbeitszeit im PI Planning jenseits des offiziellen Programms.
Die PI Planning Agenda im Scaled Agile Framework Framework ist klar strukturiert: Beginn um 8:00 Uhr morgens, offizielles Ende gegen 18:00 Uhr. Eine zweitägige Agenda voller Austausch, Planung, Klärung von Abhängigkeiten, Visualisierung von Risiken, Breakout Sessions, multidisziplinäre Teams und Confidence Vote. Ein durchgetaktetes Großereignis. Doch wer sich in Rollen wie Release Train Engineer (RTE), Scrum Master oder auch Product Owner befindet, weiß: Diese beiden Tage fangen früher an und hören oft deutlich später auf. Der Raum ist schon um 7:00 Uhr offen, das technische Setup muss stehen, letzte Slides werden angepasst, Agenda-Punkte mit Stakeholdern durchgesprochen, Kommunikationswege gecheckt. Nach dem offiziellen Ende geht es weiter: Koordination, Aufräumen, Nacharbeiten. Und oft noch ein kurzer Sync mit einzelnen Beteiligten, „nur noch kurz“, gerne bis 20:00 Uhr.
Diese Mehrarbeit ist nicht immer sichtbar und dennoch ist sie da. Und sie betrifft nicht nur Einzelne, sondern ganze Rollengruppen. Was als agiles Großevent mit der gemeinsamen Vision von Struktur und Fokus gedacht ist, entwickelt sich im Alltag schnell zu einem arbeitsintensiven Ausnahmezustand, der Woche für Woche vor- und nachbereitet wird.
Und genau hier lohnt sich ein zweiter Blick und bessere Sichtbarkeit: Wie gehen wir in unseren Organisationen mit dieser Realität um? Und welche Verantwortung tragen wir – auch im rechtlichen Sinne?
2. Arbeitszeiten sind kein „Privatproblem“ – sondern ein Thema der Mitbestimmung
Was viele nicht wissen, oder gern vergessen: Arbeitszeiten sind kein rein organisatorisches Thema. Sie sind mitbestimmungspflichtig. Und das bedeutet konkret: Der Betriebsrat muss einbezogen werden, wenn es um Beginn, Ende und Verteilung der täglichen Arbeitszeit geht – gerade dann, wenn sich diese außerhalb des Üblichen bewegen.
Das ist nicht bloß eine Formalie. Laut § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) hat der Betriebsrat ein klares Mitbestimmungsrecht, sobald sich die Arbeitszeit verändert oder Überstunden geleistet werden, selbst wenn das nur punktuell im Rahmen eines Events wie des PI Plannings geschieht. Auch wenn der gute Wille da ist („Wir machen das doch für das große Ganze“) oder man sich freiwillig engagiert: Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen „freiwillig“ und „verordnet“, sondern betrachtet die tatsächliche Beanspruchung.
Für Organisationen bedeutet das: Wenn PI Plannings ganztägige Events werden und nicht „bloß“ ein 9-to-5-Termin im Kalender, dann braucht es die Mitwirkung des Betriebsrats – nicht erst hinterher, sondern im Vorfeld. Es geht nicht darum, agile Zusammenarbeit zu blockieren, sondern sie fair, rechtskonform und tragfähig zu gestalten. Und genau hier kann ein gut informierter und eingebundener Betriebsrat zum Erfolgsfaktor werden.
Wer frühzeitig den Dialog sucht, schafft Transparenz und vermeidet Konflikte. Und: Er zeigt, dass Agilität nicht an der Tür zur Arbeitszeitregelung haltmacht – sondern dort erst richtig beginnt.
3. Europäische und deutsche Arbeitszeitgesetze: Klare Regeln, wenig Spielraum
Neben der betrieblichen Mitbestimmung gibt es noch eine zweite, nicht verhandelbare Dimension: das gesetzlich geregelte Arbeitszeitrecht – sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene. Und auch hier wird es bei der PI Planning Agenda schnell kritisch.
Die europäische Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) legt unter anderem folgende Mindeststandards fest:
- Maximal 48 Stunden Arbeitszeit pro Woche (inkl. Überstunden),
- tägliche Mindestruhezeit von 11 Stunden zwischen zwei Arbeitstagen,
- mindestens 24 Stunden Wochenruhezeit (zusätzlich zur täglichen Ruhezeit),
- und angemessene Pausen bei längeren Arbeitstagen.
Diese Richtlinie wurde in Deutschland durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) umgesetzt. Hier gelten zum Beispiel:
- Maximal 8 Stunden pro Werktag (ausnahmsweise bis zu 10 Stunden, wenn im Schnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen wieder auf 8 Stunden „zurückgerechnet“ wird),
- ununterbrochene Ruhezeiten von 11 Stunden nach Dienstende,
- Pausenregelungen ab 6 bzw. 9 Stunden Arbeitszeit.
Was bedeutet das in der Praxis?
Wenn ein Scrum Master oder Product Owner um 7:00 Uhr mit der Vorbereitung beginnt und erst um 19:30 Uhr das letzte Board aufräumt, dann ist er oder sie realistisch gesehen mehr als 12 Stunden im Einsatz – plus Wegezeit. Wenn am nächsten Morgen direkt um 8:00 Uhr das PI Planning Programm weitergeht, fehlt die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit. Und spätestens dann ist es kein individuelles Zeitmanagementproblem mehr, sondern ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht.
Auch für Remote-Termine gelten diese Regeln. Ob bei einem hybriden PI Planning via Zoom, oder im Büro ist rechtlich egal, entscheidend ist die tatsächliche Beanspruchung.
Diese gesetzlichen Grundlagen sind kein Bürokratie-Overhead, sondern dienen dem Schutz der Mitarbeitenden – vor Überlastung, Fehlern durch Erschöpfung und gesundheitlichen Folgen. Wer sie ignoriert, riskiert nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern untergräbt auch das Vertrauen in das Scaled Agile Framework und die Agilität als menschenzentriertes System.

4. Verantwortung übernehmen: Mögliche Wege für das SAFe PI Planning Event in agilen Unternehmen
PI Planning ist wichtig. schließlich ist es der Herzschlag eines Agile Release Trains. Aber genau deshalb darf es keine rechtliche oder gesundheitliche Grauzone sein. Organisationen stehen hier in der Verantwortung und haben auch die Gestaltungsmacht, gute Lösungen zu finden. Hier einige konkrete Wege, wie in agilen Unternehmen mit dem Thema Arbeitszeit beim PI Planning professionell und verantwortungsvoll umgehen können:
1. Frühzeitige Abstimmung mit dem Betriebsrat
Binde den Betriebsrat nicht erst ein, wenn es Beschwerden gibt oder Stundenlisten aus dem Ruder laufen. Diese wichtigen Gespräche bieten Transparenz und Konstruktivität im Vorfeld, etwa über realistische Planung der PI Planning Agenda, Arbeitszeiten und Kompensationen, ist oft der beste Startpunkt in verteilten Teams für tragfähige Lösungen. So lassen sich etwa Arbeitszeitmodelle für Planungswochen definieren, inklusive Ausgleichsmöglichkeiten über das ganze Jahr.
2. Überstunden dokumentieren und ausgleichen
Wenn Mehrarbeit unumgänglich ist, sollte sie zumindest sichtbar gemacht und ausgeglichen werden, beispielsweise durch Freizeitausgleich oder Zeiterfassungssysteme mit automatischer Erkennung. Nur so entsteht Gerechtigkeit und auch die Chance, Muster zu erkennen, die sich verbessern lassen und zu besseren Ergebnissen führen.
3. Rollenspezifische Schichtmodelle prüfen
Gerade zentrale Rollen wie Release Train Engineer, Scrum Master oder Event-Organisator:innen erleben eine deutlich höhere zeitliche Belastung. Denkbar ist hier ein Schichtmodell, etwa mit einem Früh- und Spätdienst, bei dem bestimmte Rollen bewusst entlastet werden. Auch Tandems oder rotierende Zuständigkeiten über den Tag hinweg können helfen.
4. Pausen und Ruhezeiten fest einplanen
Ein PI Planning ohne Pausen ist wie ein Sprint ohne Review: Es fehlt etwas Wesentliches. Plant beim nächsten Mal bewusste, längere Pausen ein und sorgt für klare Endzeiten. Das ist nicht nur gesetzeskonform, sondern auch produktiver. Frische Köpfe treffen schließlich bessere Entscheidungen.
5. Verantwortung verteilen
Statt alles auf wenige Schultern zu laden, lohnt es sich, die Eventverantwortung zu verteilen. Wer die Moderation, Dokumentation, Kommunikation und Logistik auf mehrere Personen aufteilt, reduziert individuelle Belastung – und stärkt das Teamgefühl.
Kurz: Agilität endet nicht bei der Agenda, egal ob bei kleinen oder großen Unternehmen.Sie beginnt dort, wo wir Verantwortung für unsere Zusammenarbeit übernehmen – inklusive Rahmenbedingungen.
5. Sensibilisierung statt Schönreden: Warum das Thema ins Bewusstsein gehört
PI Planning ist nicht nur ein Planungsevent – es ist ein Kraftakt. Wer dabei war, weiß: Es fordert Konzentration, Präsenz, Empathie, Überblick und vor allem Energie. Gerade deshalb ist es wichtig, ehrlich über die Belastung zu sprechen, die damit einhergeht.
Denn was häufig passiert, ist etwas ganz anderes:
„Das gehört halt dazu.“
„Das ist eben mal anstrengend.“
„Danach wird’s wieder ruhiger.“
Diese Aussagen bekommt ihr sicherlich nicht zum ersten Mal mit Doch wenn sich diese Art der Selbstverständlichkeit wiederholt – alle zehn Wochen, zwei Tage plus Vor- und Nachbereitung – dann wird aus dem Ausnahmezustand schnell ein strukturelles größeres Problem. Ein blinder Fleck, der weder thematisiert noch bewusst gestaltet wird.
Hier braucht es eine offene Kultur der Achtsamkeit. Eine Kultur, in der Arbeitszeiten nicht heroisiert, sondern reflektiert werden. In der Scrum Master nicht stillschweigend durchpowern, sondern auch mal sagen dürfen: „Ich muss morgen später starten.“ In der RTEs nicht als unermüdliche Möglichmacher:innen idealisiert werden, sondern echte Unterstützung erfahren.
Und nicht zuletzt: Eine Kultur, in der Führung aktiv mitgestaltet. Das ist ein besonders wichtiger Kontext mit klaren Rahmenbedingungen, realistischen Erwartungen und einer Einladung zum Dialog.
Sensibilisierung beginnt oft im Kleinen: mit einer Retrospektive zur eigenen Rolle im PI Planning. Mit einem Gespräch im Team. Mit einem Hinweis im Scrum of Scrums. Oder eben – mit einem Artikel wie diesem.
Fazit: Agil planen heißt auch fair organisieren
Das PI Planning ist ein zentrales Element agiler Skalierung. Doch wer Agilität ernst nimmt, darf nicht bei Boards, Features und Abhängigkeiten aufhören, sondern muss auch die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit im Blick behalten. Dazu gehören Arbeitszeiten, Pausen, Erholung und die Menschen, die das Event möglich machen. Wenn wir diese Realität ausblenden, riskieren wir nicht nur rechtliche Fallstricke, sondern untergraben auch genau das, wofür wir stehen wollen: nachhaltige Zusammenarbeit, Respekt und Verantwortung.
Der Appell ist einfach: Sprecht beim nächsten Mal über das Thema. Bindet den Betriebsrat frühzeitig ein, schafft transparente Regelungen, entlastet Schlüsselrollen. Und vor allem: Habt den Mut, Dinge anzusprechen, die man nicht auf dem Planning Board sieht, aber die maßgeblich zum Erfolg beitragen.
Denn wer PI Planning ernst nimmt, sollte auch seine Schattenseiten ernst nehmen. Nur dann wird aus „Planning“ auch wirklich „Planning that works“.
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